Das sumerische Zeichen „Dingir“ ist eines der faszinierendsten Symbole der mesopotamischen Mythologie und ein zentraler Bestandteil der Theorien von Zecharia Sitchin über die raumfahrenden Anunnaki. Sitchin postulierte in seinem Werk Der zwölfte Planet, dass das Zeichen Dingir einen Hinweis auf die fortschrittliche Technologie und den Raumfahrthintergrund der Anunnaki liefert, die laut ihm die Menschheit beeinflussten. Er stellte fest, dass Dingir aus den Zeichen „DIN“ und „GIR“ zusammengesetzt sei, wobei „DIN“ für „die Gerechten“ oder „die Hellen“ stehe und „GIR“ für „von der Spitze“ oder „von der Rakete“. Diese Interpretation deutet laut Sitchin auf eine Art Symbolik hin, die an Raumfahrzeuge und Raketen erinnert, was er durch Vergleich mit modernen Raketen wie der Apollo-Serie und der Mercury-Kapsel untermauerte. Er sah in einer schlecht erhaltenen Wandmalerei im Grabmal des Huy sogar Hinweise auf eine visuelle Darstellung dieses Symbols, das seiner Meinung nach die Raumfahrzeuge der Anunnaki nachbildete.

Klassische und sprachwissenschaftliche Erklärung

In der traditionellen sumerischen Schrift stellt Dingir tatsächlich ein Determinativ dar, das vor Götternamen, heiligen Orten und heiligen Gegenständen verwendet wurde. Es wird in der Transkription mit einem hochgestellten „D“ dargestellt, wie beispielsweise in „DNingirsu“. Das Zeichen diente dazu, den Leser darauf hinzuweisen, dass das nachfolgende Wort einen göttlichen oder heiligen Kontext hatte. Es handelte sich also nicht um ein ausgesprochenes Wort, sondern um einen Hinweis auf den Status des Namens oder Objekts, ähnlich wie es in anderen alten Schriftsystemen weitere Determinative für Pflanzen, Tiere und Menschen gibt.

Sprachwissenschaftliche Analysen zeigen, dass das Zeichen „Dingir“ anders aussieht, als Sitchin es beschreibt. Zudem ergibt die von ihm vorgeschlagene Kombination von „DIN“ und „GIR“ keinen Sinn im historischen oder linguistischen Kontext. Tatsächlich ist die korrekte Transkription „de₂“ und „gir₂“. Die tiefgestellten Zahlen geben an, um welches Zeichen es sich innerhalb der sumerischen Schrift handelt, da mehrere Zeichen für ähnliche Laute existieren, die jeweils unterschiedliche Bedeutungen haben können.

Bild aus dem Grabmal des Huy Viezekönig von Kusch
Bild aus dem Grabmal des Huy, Vizekönig von Kusch.

 

Bedeutung der Zeichen „de₂“ und „gir₂“

Laut dem frei zugänglichen Pennsylvania Sumerian Dictionary, ergeben sich für „de₂“ und „gir₂“ folgende Bedeutungen:

  • de₂ (BRING) – „bringen, tragen“ (Akkadisch: babālu)
  • de₂ (POUR) – „gießen, schütten“ (Akkadisch: šapāku; šaqû)
  • de₂ (SHAPE) – „formen, erschaffen“ (Akkadisch: patāqu)
  • gir₂ – Bedeutungen umfassen „Schwert“, „Dolch“ (Akkadisch: naglabu, patru) sowie „Rasiermesser“ und „Skorpion“

Die Kombination dieser Zeichen ergibt kein bekanntes oder logisches Wort, was Zweifel an Sitchins Interpretation aufwirft. Hinzu kommt, dass die Silbe „de₂“ erst in der Akkadzeit vorkommt und damit in der von Sitchin behaupteten Zeitperiode, in der die Schrift noch nicht vollständig entwickelt war, gar nicht existierte. Somit scheitert seine Theorie bereits an den linguistischen Grundlagen.

de2

 * de2 (BRING) „to bring, carry“ Akk. babālu

 * de2 (POUR) „to pour; to winnow“ Akk. Å¡apāku; Å¡aqû

 * de2 (SHAPE) „to shape, create“ Akk. patāqu

 

gir2

  * sword, dagger Akk. naglabu „razor, shaving blade“; patru „sword, dagger“.

 * scorpion

 * razor

 Die Kombination beider Zeichen de2gir2 ergibt kein bekanntes Wort, dies kann leicht in verschiedenen Wörterbüchern nachgeschlagen werden

 

Dingir ist in dem Sinne auch kein gesprochenes oder gelesenes Wort, sondern ein sogenannter Determinativ. Dieser wurde zwar gelesen, aber nicht ausgesprochen. Es handelt sich lediglich um ein Zeichen, damit der Leser wusste, dass das Folgende ein göttlicher Name war. Ähnliche Zeichen gibt es für Pflanzen, Tiere und Menschen. Diese Zeichen wurden eingeführt, da die sumerischen Zeichen durchaus verschiedene Wörter bilden konnten, stellte man ein Determinativ davor, wusste man, aus welchem Bereich dieses Wort war.

Grabmal des Huy Darstellung eines Pantherfelles (als Tribut aus Nubien)
Grabmal des Huy Darstellung eines Pantherfelles (als Tribut aus Nubien)

 Ein weiteres Beispiel für Sitchins Interpretation ist die vermeintliche Darstellung von Dingir als Raumfahrzeug in einer Wandmalerei im Grabmal des Huy. Tatsächlich zeigen die Bilder des Grabes überwiegend Nubier, die dem Grabinhaber huldigen und Geschenke bringen. Eine eingehendere Analyse der fraglichen Darstellung zeigt, dass es sich um zwei Leopardenfelle handelt, die neben einer typischen Säule mit Palmblattkapitell aufgehängt sind. Es gibt keine Hinweise darauf, dass diese Darstellung etwas mit einer „Rakete“ oder Raumfahrt zu tun hat. Die dargestellten Personen wenden sich zudem von der „Rakete“ ab und interagieren mit anderen Objekten.

Fazit

Die Thesen von Zecharia Sitchin über das sumerische Zeichen Dingir beruhen auf falschen Annahmen und einer fehlerhaften Interpretation der sumerischen Schrift und Symbolik. Sein Ansatz, linguistische und archäologische Funde in seine Theorie über die Anunnaki und Raumfahrt zu integrieren, entbehrt einer wissenschaftlichen Grundlage. Stattdessen zeigt der Fall Dingir, wie leicht aus unbewiesenen Annahmen komplexe Geschichten und Mythen entstehen können, die einer genaueren Untersuchung nicht standhalten. Die wissenschaftliche Gemeinschaft betont, dass das Zeichen Dingir in der akkadischen und späteren babylonischen Zeit zwar als göttliches Determinativ verwendet wurde, aber nichts mit außerirdischen Technologien zu tun hat.

Insgesamt zeigt das Beispiel, wie wichtig es ist, historische und linguistische Beweise sorgfältig zu prüfen und fundierte Interpretationen vorzunehmen, anstatt spekulativen Theorien Raum zu geben.

 

 Links

 http://www.sumerian.org/sumerlex.htm

 http://psd.museum.upenn.edu/epsd/index.html

 http://etcsl.orinst.ox.ac.uk/

 Literatur

  • Sitchin, Zecharia; Der zwölfte Planet. Wann, wo, wie die ersten Astronauten eines anderen Planeten zur Erde kamen und den Homo Sapiens schufen, München 1989